Befangenheitsanträge im Zivilprozess: Wie die Justiz sich selbst kontrolliert
Sie haben das Gefühl, in einem Zivilverfahren benachteiligt zu werden? Kein Problem! Das deutsche Rechtssystem hat dafür eine elegante Lösung parat: den Befangenheitsantrag nach § 42 ZPO. Ob dieser objektiv oder nur subjektiv berechtigt ist, spielt dabei keine Rolle – Hauptsache, Sie fühlen sich besser.
Die geniale Selbstkontrolle: Der Bock als Gärtner
Hier beginnt das wahre Meisterwerk deutschen Rechtsverständnisses: Ihr Befangenheitsantrag landet bei demselben Gericht, wo die Kollegin oder der Kollege über die mögliche Befangenheit der betroffenen Kollegin oder des betroffenen Kollegen entscheidet. Stellen Sie sich vor: Kollegen, die täglich zusammen Kaffee trinken und über das Wetter plaudern, urteilen über ihre gegenseitige Objektivität. Wer hätte gedacht, dass diese Selbsteinschätzung fast immer positiv ausfällt?
Plan B: Wenn Kollegen über Kollegen urteilen
Wurde Ihr Befangenheitsantrag abgelehnt? Überraschung! Jetzt dürfen Sie eine sofortige Beschwerde nach § 569 ZPO einreichen. Diese kann entweder wieder an das ursprüngliche Gericht gehen – für maximale Objektivität – oder an ein anderes Beschwerdegericht, meist das Landgericht. Dort urteilen dann andere Richter über ihre Kollegen. Die Erfolgsaussichten sind... nun ja, lassen wir das der Fantasie überlassen.
Das Märchen von der "Selbstkorrektur"
Politik und Justiz schwärmen regelmäßig von der wunderbaren "Selbstkorrektur der Justiz". Ein faszinierendes Konzept: Eine Berufsgruppe kontrolliert sich selbst – so objektiv wie ein Fußballspieler, der seine eigenen Fouls pfeift. Aber keine Sorge, das funktioniert bestimmt genauso gut wie die Selbstkontrolle der Banken vor der Finanzkrise.
Der Königsweg: Anhörungsrüge und Verfassungsbeschwerde
Haben Sie das Gefühl, Ihnen wird vor Gericht gar nicht zugehört? Dann haben wir das perfekte Mittel: die Anhörungsrüge nach § 321a ZPO! Raten Sie mal, wer darüber entscheidet? Richtig – wieder das Ausgangsgericht! Diese Anhörungsrüge ist übrigens die zwingende Voraussetzung für eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht nach Artikel 103 Absatz 1 GG.
Hier wird es besonders köstlich: Die Richter am Ausgangsgericht kennen die Statistiken. Sie wissen genau, wie verschwindend gering die Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde sind. Mit diesem Wissen im Hinterkopf prüfen sie nun selbstkritisch, ob sie vielleicht doch einem Bürger das rechtliche Gehör verweigert haben könnten. Die Selbstreflexion ist geradezu bewegend – ungefähr so, wie wenn ein Schiedsrichter nach einem umstrittenen Elfmeter noch einmal in sich geht.
Die Abstimmung mit den Füßen: Wenn Bürger das Vertrauen verlieren
Natürlich ist es völlig verwunderlich, dass über die Jahre die Klagenneuzugänge zurückgehen. Die Zivilsachen sanken von 1.496.122 Fällen im Jahr 1999 auf nur noch 773.365 Fälle im Jahr 2023 – ein Rückgang von fast der Hälfte! Wer hätte das bei einem so perfekt funktionierenden System erwartet?
Die vom Bundesamt für Justiz beauftragte Untersuchung „Erforschung der Ursachen des Rückgangs der Eingangszahlen bei den Zivilgerichten" kam unter Punkt 1.4 (Rechtsunsicherheit und Vertrauensverlust in die Justiz) zu dem völlig überraschenden Ergebnis, dass in der Bevölkerung ein Vertrauensverlust gegenüber der Justiz besteht.
Unfassbar! Da entwickelt man ein System, in dem Richter über Richter urteilen und sich selbst kontrollieren, und dann verlieren die Menschen das Vertrauen? Das ist wirklich rätselhaft. Vielleicht liegt es daran, dass die Bürger die Schönheit der Selbstkontrolle einfach nicht zu schätzen wissen.
Fazit: Ein System in Perfektion
Das deutsche Zivilverfahrensrecht hat bei Befangenheitsanträgen ein nahezu perfektes System geschaffen: Richter urteilen über Richter, Kollegen über Kollegen, und alle sind sich einig, dass sie objektiv sind. Ein Perpetuum mobile der Selbstbestätigung, das jeden Zweifel an der eigenen Unfehlbarkeit elegant eliminiert.
Wer braucht schon externe Kontrolle, wenn man sich so wunderbar selbst kontrollieren kann? Dass immer weniger Menschen dieses System nutzen wollen, ist sicher nur ein bedauerlicher Zufall.